Der Zusammenhang zwischen Armut, Gesundheit und Mobilität
Rückschau auf den Kongress „Armut und Gesundheit“
Vom 20. bis 22. März fand an der TU Berlin der Kongress „Armut und Gesundheit“ statt. Auf der Tagung versammeln sich jährlich 2.000 Akteur*innen der Public-Health-Szene. Ihr Thema: Wie lässt sich die gesellschaftliche Gesundheit verbessern?
Als Mitglied der Arbeitsgruppe gesundheitsfördernde Gemeinde- und Stadtentwicklung hat unser Teammitglied Stephan Daubitz zwei Veranstaltungen organisiert. Im Workshop „Mobil in der Stadt – gesundheitsfördernd, umweltbewusst und sozialverträglich“ hat er das Verhältnis von Mobilität und Armut beleuchtet. In der anschließenden Fishbowl-Debatte haben drei Referent*innen aus Forschung und Planungspraxis klargestellt, was die Voraussetzungen einer sozial gerechten Verkehrswende sind.
Workshop: Wie verändert sich die Mobilität, wenn ich plötzlich arm bin?
Der Workshop „Mobil in der Stadt“ begann mit einer einfachen Aufgabe für die 40 Teilnehmenden: Zeichnen Sie Ihre täglichen Wege als Karte auf. Mit welchem Verkehrsmittel legen Sie welche Alltagsstrecke zurück?
Die entscheidende Wendung folgte im Anschluss: Stellen Sie sich vor, Sie hätten nur noch ein Budget von 34,62 Euro im Monat für die Mobilität zur Verfügung, entsprechend dem Hartz IV-Regelbedarf1. Bitte markieren Sie alle Wege, die Sie nicht mehr tätigen könnten.
Eine “Mental Map” zeigt, welche Wege eine Teilnehmerin im Alltag zurücklegt – und welche Wege durch die Armut bedroht wären.
Den Meisten wurde klar: Die Alltagswege, wie ich sie gerade zurücklege, sind mit knapp 35 Euro nicht zu bewältigen. Ob ich zur Fachärztin in den Nachbarbezirk fahren muss, mit meinen Kindern einen Ausflug machen will oder zum Einkaufen in die Stadt möchte: Die Armut hindert mich daran.
Armut gefährdet Gesundheit, gefährdet Mobilität
Dementsprechend schlecht schätzten die Teilnehmenden die Auswirkungen der „Mobilitätsarmut“ auf ihre Gesundheit ein. Seit langem ist es Konsens in der Public Health-Forschung, dass Menschen in Armut schlechteren Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Wenig erforscht ist bisher das Phänomen, dass ein mangelnder Zugang zu Mobilität, Armut und schlechte Gesundheit sich gegenseitig verstärken können. Wenn beispielsweise Arzttermine mangels Geld für den Fahrschein nicht wahrgenommen werden können, wirkt sich das auf die körperliche Verfassung aus und verringert die Möglichkeiten, die Armut zu überwinden. Dieser Erscheinung widmet sich bisher vor allem Forschung im englischen Sprachraum2.
Fishbowl-Diskussion: Arme Menschen leiden doppelt unter dem Verkehr
In der anschließenden Fishbowl-Diskussion wies der ehemalige Referatsleiter für Strategische Verkehrsplanung der Stadt Bremen Dr. Thilo Becker auf die doppelte Belastung für einkommensschwache Menschen hin. Für die Stadt Berlin hatte er die Belastung durch Stickoxide, Feinstaub und Verkehrslärm in Abhängigkeit vom Einkommen untersucht3. Sein Fazit: „Arme Menschen können besonders wenig am Verkehr teilnehmen, leiden aber deutlich stärker unter den Auswirkungen. Damit erleben sie einen doppelten negativen Effekt verglichen mit nicht armen Menschen.“
Mobilität bemisst sich nicht in Kilometern – sondern in Teilhabe
Prof. Dr. Oliver Schwedes, Leiter des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin, plädierte dafür, die Qualität von Verkehrsangeboten nicht mehr eindimensional in der Anzahl geleisteter Personenkilometer zu messen. „Mobilität sollte sich nach dem Grad der Teilhabe an einer Gesellschaft bemessen. Dementsprechend muss die ermöglichte Teilhabe unser Maßstab sein. Das führt innerstädtisch zur Umverteilung von Ressourcen weg vom Automobil und hin zu aktiver Mobilität.“
Dass diese Umverteilung nicht immer leicht fällt, erfährt Verkehrsplanerin Katalin Saary regelmäßig im Umgang mit Entscheidungsträgern in kommunalen Verwaltungen. Um das zu ändern, lädt sie regelmäßig zu Stadtspaziergängen ein, auf dem die Beteiligten die Perspektive aktiv mobiler Menschen einnehmen.
Fazit: Eine Verkehrswende nützt armen Menschen am meisten
Beckers Forschungsergebnisse lassen sich auch umgekehrt lesen: Eine Verkehrswende nützt primär den finanziell Schwachen, die in verkehrsbelasteter Umgebung leben. Ihre Gesundheit profitiert von einer Abnahme an Feinstaub, Lärm und Stickoxiden. Aus Perspektive der Public Health-Forschung ist das Ziel daher klar. Es gilt, die Spirale aus Armut, Krankheit und Immobilität zu durchbrechen – mit einer Planung, die nicht die Verkehrsleistung weniger Menschen zum Maß der Dinge macht, sondern das Wohlbefinden aller Menschen.
Doktorand am Institut für Verkehrsplanung der TU Hamburg, Bearbeiter des Projekts MobileInclusion. Dem Öffentlichen Nahverkehr verfallen.
Arbeitsschwerpunkte: Geografische Analyse sozialer Ausgrenzung, Öffentlichkeitsarbeit
- Christoph Aberle im MobileInclusion Blog (06.03.2018): Warum ist MobileInclusion wichtig? Drei Thesen zu Mobilität und Gerechtigkeit ↵
- Im Vereinigten Königreich, in den USA und in Australien wird seit der Jahrtausendwende zur transport disadvantage geforscht. bspw.
Lucas, Karen (Hg.) (2004): Running on empty. Transport, social exclusion and environmental justice. 1. publ. Bristol: Policy Press.
Currie, Graham (Hg.) (2011): New perspectives and methods in transport and social exclusion research. Bingley England: Emerald Group Pub.
Hine, Julian; Mitchell, Fiona (2016): Transport disadvantage and social exclusion. Exclusionary mechanisms in transport in urban Scotland (Transport and society). ↵ - Thilo Becker (2015): Sozialräumliche Verteilung von verkehrsbedingtem Lärm und Luftschadstoffen am Beispiel von Berlin. Dissertation an der TU Dresden. Volltext beim Sächsischen Publikationsserver ↵