Ein Sieben-Tage-Protokoll über den eigenen Mobilitätsalltag

Werkstattbericht: Wie unsere qualitative Erhebung ablief

Das Forschungsprojekt MobileInclusion befindet sich kurz vor dem Abschluss. Nun führen wir unsere Ergebnisse, die auf der Grundlage der erhobenen Daten hergeleitet wurden, in einem Endbericht zusammen.

Wegetagebücher als Tool zur Datenerhebung

Teil dieser Daten waren Wegetagebücher, die ergänzend zu den qualitativen Interviews erhoben wurden, um das individuelle Verkehrs- und Mobilitätsverhalten zu erfassen. Zwei Zielsetzungen waren mit dem Einsatz dieses Instruments verbunden. Zum einen sollten mit den ausgefüllten Wegetagebüchern die tatsächlichen Ortsveränderungen der interviewten Personen nachvollzogen werden. Somit konnten wir individuelle Bewegungsprofile erstellen, die sich als Karte darstellen lassen.

Darstellung eines Bewegungsprofils auf der Grundlage der Eintragungen im Wegetagebuch

Diese individuellen räumlichen Analysen bildeten die Basis, um eine qualitative Typologisierung vorzunehmen. Zum anderen bildeten die Wegetagebücher den Ausgangspunkt für das leitfadengestützte Interview. Das geplante qualitative Interview sollte nicht mit einer allgemeinen Frage beginnen, sondern sich konkret auf die von den interviewten Personen gemachten Eintragungen im Wegetagebuch beziehen.

 

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Material zum Download

Wir stellen Ihnen die Vorlage für die Wegetagebücher
und viele weitere Unterlagen zur Verfügung.
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Durch den Zugang mit dem Wegetagebuch haben wir erwartet, dass sich nicht nur der Mobilitätsalltag präziser nachvollziehen ließe, sondern auch, dass das Gespräch zum Thema leichter fallen würde. Der direkte Bezug ermöglichte es den Befragten, sich auf konkrete Punkte ihres Alltags zu beziehen und darüber zu sprechen. Anders als in den großen verhaltensbezogenen Verkehrserhebungen Mobilität in Deutschland (MiD), Mobilitätspanel (MoP) und Mobilität in Städten (SrV) haben unsere Wegetagebücher qualitativen Charakter. Wichtig war es uns, einen qualitativen Eindruck vom Mobilitätsalltag einkommensarmer Menschen zu bekommen und nicht so sehr die exakte zurückgelegte Kilometerzahl der Wege etc. zu erheben. Auch eine Smartphone-unterstützte Erhebung, die sich zunehmend in der Mobilitätsforschung etabliert1, hatten wir ausgeschlossen. Dies hätte Personen ausgegrenzt, die kein Smartphone zur Verfügung haben und wäre womöglich als Überwachung missverstanden worden. Wie sich in der Feldphase bestätigte, ist das Vertrauensverhältnis zwischen Forscher und interviewter Person entscheidend, um Informationen zu erhalten, die plausibel sind und den Mobilitätsalltag annähernd wiedergeben. Da sich einige Personen durch das Jobcenter kontrolliert oder überwacht fühlen, stehen sie Fragen zum Alltag möglicherweise sehr misstrauisch gegenüber.

Die Gestaltung des Wegetagebuchs haben wir so einfach wie möglich gestaltet. Das 36-seitige Heftchen startete auf dem Titelblatt mit der Angabe, in welchem Zeitraum das Wegetagebuch ausgefüllt worden ist. Bei der Übergabe wurde das Vorgehen genau erklärt. Bei der Instruktion gaben wir den Teilnehmer*innen die Empfehlung, das Wegetagebuch am Ende jedes Tages oder auch unterwegs auszufüllen.

Das Wegetagebuch zum Ausfüllen

Für sieben Tage stand den Teilnehmer*innen jeweils ein Blatt für die Erfassung ihrer Wege und ein Blatt mit Fragen zum Tagesabschluss zur Verfügung. Das Wegetagebuch erhebt Hin- und Rückwege als zwei Wege. Ein Weg ist der Weg zwischen Startpunkt und Ziel, wobei es beim Umsteigen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln (z. B. vom Bus in die U-Bahn) bei einem Weg bleibt.

Beispielhafter Eintrag in einem Wegetagebuch

Das eingesetzte Wegetagebuch hat den Anspruch, alle Wege, die am jeweiligen Tag zurückgelegt wurden, zu erfassen. Dabei wurde betont, dass Fußwege und kurze Wegen sehr wichtig sind, da diese oft vergessen oder nicht als ‚richtige‘ Mobilität wahrgenommen werden. Bei Tagen, an denen keine Wege aufgeschrieben wurden, haben wir in den Interviews nochmals nachgefragt. Punktuell stellte sich hier heraus, dass einige Personen doch das Haus zu Fuß verlassen hatten, um z.B. Müll runterzubringen oder für einen kurzen Spaziergang.

Die Photovoice-Methode als Alternative zum Wegetagebuch

Alternativ zum Ausfüllen des Wegetagebuchs wurde den Teilnehmer*innen das Angebot gemacht, Fotos von ihren Wegen aufzunehmen und darüber zu sprechen. Dazu wollten wir den Teilnehmer*innen leihweise Kameras mitgeben. In Anlehnung an die Photovoice-Methodik, die sich in der partizipativen Forschung etabliert hat2, sollten die Bilder Folgendes abbilden:

  • Orte, die den Personen wichtig sind.
  • Herausforderungen, die sich ihnen stellen, wenn sie unterwegs sind.
  • Orte, die sie im Leben unterstützen.
  • Dinge, die sie ändern würden.

Für jedes Thema hätten zwei, drei Fotos gemacht werden können, um darüber ins Gespräch zu kommen. Fast alle Teilnehmer*innen lehnten diese Möglichkeit ab. Nur eine Person machte zusätzlich zu ihrem ausgefüllten Wegetagebuch mit ihrem Smartphone Fotos von ihren Wegen. Die übrigen Proband*innen begründeten ihre Ablehnung damit, dass sie sehr gut mit dem Ausfüllen der Wegetagebücher zurechtkämen und diese Art der Erhebung ihnen leichter fiele.

Für jeden Tag enthält das Tagebuch Fragen zum Tagesabschluss, bei denen Schwierigkeiten thematisiert werden. Es wurde erfragt, ob die befragte Person irgendwelche Wege oder Besorgungen nicht realisieren konnte. Wurden nicht realisierte Wege genannt, wurden diese grundsätzlich im qualitativen Interview thematisiert.

Das Wegetagebuch im Zusammenspiel mit dem qualitativen Interview

Insgesamt war der Einsatz des Wegetagebuchs im Zusammenspiel mit der Durchführung des qualitativen Interviews gedacht. Den Zielen in den Wegetagebüchern konnten wir entsprechende Erzählungen der Personen zuordnen. Das qualitative Interview sollte anschließend über die Angaben des Wegetagebuchs hinausgehen und zusätzliche Wege des Alltags erheben, die nicht im Wegetagebuch aufgeführt wurden.

  1. Schelewsky, Marc; Bock, Benno; Jonuschat, Helga; Stephan, Korinna (2014): Smartphones unterstützen die Mobilitätsforschung. Neue Einblick in das Mobilitätsverhalten durch Wege-Tracking. Wiesbaden: Springer Vieweg.
  2. Unger, Hella von (2014): Partizipative Forschung. Einführung in die Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.