„Bevor ich ein Kind hatte, war ich immer unterwegs. Aber seitdem ist das ein bisschen schwieriger“

Frauen bewegen sich anders durch die Stadt als Männer. Nachdem sie nach wie vor den Großteil der Sorgearbeit leisten, sind ihre Wegeketten kleinteiliger und komplexer als die Wegeketten von Männern1. Migrantinnen erster und zweiter Generation, so die Beobachtung unserer Autorinnen Aylin Beyazhan und Yaren Balli, sind dabei besonders auf den Nahverkehr angewiesen. Die beiden TUHH-Studentinnen haben dieser Beobachtung eine Forschungsarbeit gewidmet und Frauen in Wilhelmsburg befragt. Das Ergebnis – eine sehr gute Studienarbeit im Bachelor Logistik und Mobilität – veröffentlichen wir hier in Auszügen als Gastbeitrag.

Sind migrantische Mütter in Hamburg–Wilhelmsburg in Bezug auf den Nahverkehr benachteiligt?

Am Anfang stand die Alltagsbeobachtung, dass Migrantinnen, die auch als solche erkennbar sind, anscheinend häufig den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Gestützt wird diese Beobachtung durch die Ergebnisse der Erhebung „Mobilität in Deutschland“ (MiD). Demnach fahren Männer im Alltag 30% weitere Strecken als Frauen. Auch das Einkommen macht einen wesentlichen Unterschied aus: Menschen mit viel Einkommen sind deutlich häufiger und deutlich weiter unterwegs als einkommensarme Personen2. Die Forschungsfrage leitet sich aus diesen wesentlichen Auffälligkeiten her, ergänzt mit dem Kriterium des Migrationshintergrunds:

Sind Frauen aus Wilhelmsburg aus ökonomisch schwachen Familien mit Migrationshintergrund im öffentlichen Personennahverkehr benachteiligt?

Untersuchungsgruppe: Migrantinnen in Wilhelmsburg, die von wenig Geld leben

Die Untersuchungsgruppe setzt sich aus Frauen zusammen, von denen die meisten Mütter sind. Das Untersuchungsgebiet ist Hamburg-Wilhelmsburg. Die Befragung wurde in den Deutschkursen der „Bildung und Integration Hamburg Süd GmbH“, dem Haus der Jugend Wilhelmsburg und dem Elterncafé der Ganztagsschule Fährstraße durchgeführt. Eine ideale Untersuchungsperson hat dabei folgende Merkmale:

  • Mutter – idealerweise Kinder unter 10 Jahren
  • Alter zwischen 30 und 40 Jahren
  • mit Migrationshintergrund
  • ökonomisch geringer Status
  • ausreichende Deutschkenntnisse

Um die Forschungsfrage zu beantworten, haben wir vier Hypothesen aufgestellt. Der Fragebogen enthielt die Aussagen, die von den Frauen bewertet werden sollten. Die Antworten auf die Fragen befinden sich unterhalb der jeweiligen Hypothese.

Unzureichende Sprachkenntnisse könnten zur Herausforderung bei der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel führen. Unter der Annahme, dass die meisten Bewohnerinnen aus Wilhelmsburg mit Migrationshintergrund geringe Deutschkenntnisse aufweisen, besteht die Möglichkeit, dass die Untersuchungsgruppe keine entsprechenden Sprachkenntnisse hat.

Diagramm zu Aussagen bezüglich des ÖPNV. Frage: Deutschenntnisse reichen aus um nach dem Weg zu fragen?: 12 Personen sagen

Die Anbindung des Stadtteils ist ein wichtiger Aspekt der bei der Wahl der Verkehrsmittel. Nach einer kleinen Recherche zu den öffentlichen Verkehrsmitteln in Hamburg-Wilhelmsburg stellen wir fest, dass Wilhelmsburg eine gute ÖPNV-Anbindung hat.

Diagramm zu Aussagen bezüglich des ÖPNV. Frage: ÖPNV ist familienfreundlich?: 12 Personen sagen

In Hinsicht auf die Familienfreundlichkeit können mögliche Schwierigkeiten, der Einstieg in den Bus mit Kinderwagen, ein Grund dafür sein, öffentliche Verkehrsmittel nicht zu nutzen.

Diagramm zu Aussagen bezüglich des ÖPNV. Frage: Gute Anbindung an das ÖPNV-Netz?: 16 Personen sagen

Die Hypothese bezüglich der Fahrkartenpreise ist durch den bundesweiten Vergleich formuliert worden, da Hamburg mit rund 110 Euro für eine Monatskarte die teuerste Stadt ist3.  Dies gilt auch für die Sozialkarte4.

Diagramm zu Aussagen bezüglich des ÖPNV. Frage: Fahrkartenpreise sind zu hoch?: 16 Personen sagen

Ergebnis: Unsere Wilhelmsburger Frauen fahren häufiger Nahverkehr, …

Um die Unterschiede der Untersuchungsgruppe zu veranschaulichen, haben wir unsere Ergebnisse mit denen aus der „Mobilität in Deutschland“-Befragung gegenübergestellt. Im Vergleich fällt auf, dass die befragten Frauen öfter über eine Abo-Karte verfügen als der Durchschnitt. Auch nutzen sie den Nahverkehr deutlich häufiger. Die hohe Nutzung des ÖPNV lässt sich dadurch erklären, dass der Zugang zu den Alternativen fehlt. Sowohl die Pkw-Verfügbarkeit als auch der Führerscheinbesitz ist im Vergleich mit den MiD-Daten sehr gering. Die öffentlichen Verkehrsmittel stellen dagegen eine leicht zugängliche Form der Beförderung dar.

Vergleich: PKW-Verfügbarkeit, Führerscheinbesitz, Fahrkarten-Abo

Vergleich: Modal Split

… fühlen sich kaum benachteiligt, …

Die folgende Tabelle umfasst die wichtigsten Ergebnisse unserer Arbeit. Es wird unterschieden zwischen objektiver und subjektiver Benachteiligung. Wenn eine Benachteiligung persönlich wahrgenommen wird, sprechen wir von subjektiver Benachteiligung, die nicht direkt messbar ist. Die objektive Benachteiligung kann dagegen gemessen werden, beispielsweise am HVV-Angebot. Bei der vorliegenden Untersuchung wird die objektive Benachteiligung anhand der Gegenüberstellung zwischen den Werten unserer Erhebung und den Werten aus den MiD-Erhebungen ermittelt. Die subjektive Benachteiligung wird anhand der Bewertung der Aussagen aus dem Fragebogen gemessen.

Sind diese Frauen benachteiligt? Sprachkenntnisse: Subjektiv Nein, Objektiv Nein; Anbindung: Subjektiv Nein, Objektiv Nein; Familienfreundlichkeit: Subjektiv Nein, Objektiv Eventuell; Fahrkartenpreise: Subjektiv Ja, Objektiv Ja

Zusammenfassung der Ergebnisse

Hinsichtlich der Sprachkenntnisse empfinden die Frauen in unserer Stichprobe keine Benachteiligung, denn die meisten besuchen einen Deutschkurs und weisen grundlegende Sprachkenntnisse auf. Bezüglich der Anbindung lässt sich keine Benachteiligung feststellen. Sowohl die Stichprobe sieht ihre Anbindung an den ÖPNV als gut an, als auch unsere Analyse bezüglich der vorhandenen Bushaltestellen und Bahnhöfe in dem Stadtteil5. Obwohl objektiv Barrierefreiheit noch nicht gänzlich gewährleistet ist, stufen unsere Befragten den ÖPNV als familienfreundlich ein. Eine eindeutige Benachteiligung zeigt sich beim Thema Fahrkartenpreise. Die Mehrheit der Teilnehmer empfindet die preislichen Gegebenheiten als zu hoch – was sich im bundesweiten Preisvergleich widerspiegelt (s.o.).

… aber leiden unter hohen Fahrpreisen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die größte Problematik sich aus dem Fahrpreis ergibt. Die finanzielle Lage der Frauen führt zu einer Einschränkung in ihrem Mobilitätsverhalten, zumal sie oftmals gezwungen sind mit dem ÖPNV zu fahren, obwohl die Preise sehr hoch sind. Die ohnehin ökonomisch schwachen Frauen müssen gezwungenermaßen in anderen Bereichen ihres Lebens Einsparungen machen. Obwohl beim Phänomen der sozialen Ausgrenzung viele Faktoren eine Rolle spielen, kann das im Extremfall zu Exklusion führen.

  1. Kathrin Konrad (2016): Mobiler Alltag im Wandel des Geschlechterverhältnisses. S. 58f
  2. BMVI – Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Mobilität in Deutschland (MiD) – Ergebnisbericht, in online: S. 3
  3. ADAC (o. J.): ÖPNV-Preisvergleich 2019: Wo Tickets teuer und wo sie günstig sind, in: ADAC, online: 28.12.2019
  4. Aberle, Christoph (2020): Warum ist MobileInclusion wichtig? Drei Thesen zu Mobilität und Gerechtigkeit
  5. Analyse mit QGIS erstellt, Geodaten aus Google Maps und QGIS–Datenbank