Eine neue U-Bahn in Hamburg, für alle?

Hamburg bekommt eine neue U-Bahn, die U5. Das ist „rasant“, „krass“ und „heute undenkbar“ – so formuliert es zumindest die Hochbahn1. Mit der neuen Linie soll zum einen die Stadt zusammenwachsen, zum anderen soll die U5 bestehende Linien entlasten. Der Planungsstand ist bislang weitestgehend eine Machbarkeitsstudie, die mehrere Streckenvarianten zwischen 13 und 17 Kilometern mit 14 bis 17 Haltestellen vorsieht. Für den östlichen Bauabschnitt von Bramfeld bis zur City Nord ist die Vorentwurfsplanung abgeschlossen. Die U-Bahn soll vollständig unterirdisch, automatisiert und in einem 90-Sekunden-Takt fahren. Der Bau des östlichen Abschnittes soll 2021 beginnen.

Eine nicht ganz direkte Ost-West-Verbindung

Durch die U5 sollen möglichst viele Stadtteile einen Schnellbahnanschluss erhalten, die bislang nicht an das Netz angebunden sind. Die Linienführung ist eine Antwort auf die steigenden Fahrgastzahlen in Hamburg. Nach Erhebungen der Fahrgastzahlen der Hochbahn bevorzugen die Fahrgäste die Nord-Süd-Verbindungen, während Ost-West-Verbindungen weniger nachgefragt werden2 – je weiter außerhalb die Querverbindung liegt, desto geringer ist die Nachfrage. In der nachstehenden Abbildung ist die geplante Streckenführung der U5 violett dargestellt.

Karte: Hamburg.de (2019): Neue U-Bahnlinie für Hamburg

Eine Haltestelle für Steilshoop

Die U5 wird planerisch in drei Abschnitte unterteilt: Die U5 Ost, U5 Mitte und U5 West. Die Entwurfsplanungen sind jeweils unterschiedlich weit fortgeschritten. Für die U5 Ost, mit der Bramfeld und die City Nord an die Innenstadt angeschlossen werden sollen, stehen bereits fünf Haltestellen fest. Eine soll in Steilshoop liegen, einem Untersuchungsgebiet von MobileInclusion. Die Bewohner_innen von Steilshoop warten schon seit vielen Jahren auf einen Anschluss an den Schienenverkehr – 2030 soll es dann soweit sein3.

Ausgehend von der U5 Ost führt der Linienkorridor entlang der Alster in Richtung Bahnhof und Innenstadt. Westlich der Alster soll die Linie über den Siemersplatz bis zum Osdorfer Born führen, einem weiteren Untersuchungsgebiet von MobileInclusion. Wie genau der Hamburger Westen angeschlossen werden kann, wird aktuell noch geprüft. Eine Alternative ist die S-Bahn S32, die im Bereich Diebsteich aus der S3 ausgefädelt wird4.

Wen erreicht die geplante U5?

Werden von der U5 tatsächlich alle profitieren, wie es von der Hochbahn angekündigt wurde?5. Im Rahmen des Projekts MobileInclusion haben wir untersucht, wer auf Grundlage der Haltestellenradien Zugang zum SPNV6 hat. Untersuchungsgrundlage ist der vorläufige Linienverlauf der U5, wie er in der Abbildung oben zu sehen ist. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Zielgruppe des Forschungsprojektes: Menschen, die von SGBII („Hartz IV“) leben.

Zunächst haben wir den Anteil aller Hamburger_innen erhoben, die nicht vom Öffentlichen Personennahverkehr erreicht werden7. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Schienenverkehr, da hier komfortabel und schnell relativ viele Menschen befördert werden können. Es zeigt sich, dass 57,9 % aller Einwohner_innen von Hamburg außerhalb des SPNV-Einzugsgebiets leben. Menschen mit „Hartz-IV“-Bezug sind diesbezüglich leicht überrepräsentiert, da 59,9 % dieser Bevölkerungsgruppe außerhalb leben8. Dieser Effekt ist unter Einbezug der Busse deutlich geringer: Vom Einzugsgebiet des HVV werden 94,9 % der Hamburger_innen erreicht, im Umkehrschluss leben 5,1 % außerhalb des HVV-Erschließungsgebiet. Von allen Personen in “Hartz IV” wohnen nur 3,5 % außerhalb des Einzugsgebiet aller HVV-Haltestellen.

Mit dem Bau der geplanten U5 würden 9,7 % der bislang nicht erschlossenen Menschen in Hamburg an den SPNV angebunden. Menschen mit SGBII-Bezug würden sogar geringfügig stärker profitieren, da hierdurch 10,1 % der bislang nicht erreichten angebunden würden.

Ist die U5 tatsächlich für alle?

Auf der Grundlage unserer Berechnung lässt sich sagen, dass die geplante U5 viele Menschen neu an das Schienennetz anbinden wird. Menschen mit SGBII-Bezug werden etwas stärker von der neuen U-Bahn profitieren, insbesondere die Bewohner_innen der dicht besiedelten MobileInclusion-Untersuchungsgebiete Steilshoop und Osdorfer Born. Somit ist die geplante U5 als Maßnahme zu bewerten, mit der mobilitätsbezogene soziale Exklusion verringert werden könnte.

Die Erschließung durch den Nahverkehr wird sich also für die dort lebenden Menschen in den kommenden Jahrzehnten verbessern. Die Interviews mit von Armut Betroffenen, die wir gerade führen, zeigen aber: Der Zusammenhang zwischen Mobilität und Armut wird nicht nur durch die ÖPNV-Erschließung bestimmt, sondern stellt sich vielschichtiger dar. Ticketpreise spielen bei den Interviewten eine Rolle, aber auch die Angst vor einer Verdrängung durch Mieterhöhungen, die dem U-Bahn-Bau möglicherweise folgen wird.

Dass endlich eine U-Bahn in den Osdorfer Born und nach Steilshoop kommt, ist definitiv ein Fortschritt. Zu beobachten bleibt, ob unsere Menschen in Armut die U5 nutzen können, möchten und werden.

 

  1. Hamburger Abendblatt (2019): “Bäm! Krass! Senf!” Diese Werbung für die U5 hat Folgen
  2. Hochbahn (2019): Warum die U5 über die Innenstadt fährt
  3. NDR Hamburg Journal vom 14.11.2019: „Ungerecht? Steilshoop ohne U-Bahnanschluss“ (YouTube, 2:41 Minuten)
  4. hamburg.de (2019): Neue U-Bahnlinie für Hamburg
  5. Hochbahn (2019): Ganz viel Potenzial: U5 schließt wichtige Lücken im Netz
  6. SPNV = Schienenpersonennahverkehr – In Hamburg sind das U-Bahn, S-Bahn, AKN und Regionalbahn.
  7. Wir betrachten einen Menschen als „erreicht“, wenn er innerhalb des Einzugsradius von 600 Metern lebt. Diesen Radius legt der HVV in seiner Angebotsplanung zugrunde. Bei Bushaltestellen beträgt der Einzugsradius 400 Meter
  8. Die Bevölkerungsverteilung folgt der Zensus-Erhebung vom 9. Mai 2011 und hat eine Auflösung von 100 Meter-Rasterzellen. Aktuellere Daten in dieser feinen Körnung werden leider erst wieder mit dem Zensus 2021 erhoben. Die „Hartz IV“-Verteilung folgt dem RISE-Sozialmonitoring mit Stichtag 31.12.2016. Die Zensusdaten und die RISE-Daten haben wir verschnitten, wobei wir eine gleichmäßige Verteilung der SGBII-Beziehenden innerhalb der Statistischen Gebiete des RISE-Monitorings annehmen.